Gedanken an 2018 mit Blick in unsere Zukunft

Eigentlich ist Weihnachten in diesen Zeiten des sehr späten Kapitalismus, nicht unbedingt unsere Lieblingsveranstaltung. Beseelt von warmen Tagen mit Familie und den Liebsten möchten wir den Moment dennoch nutzen, um Jesus noch alles Gute zum Geburtstag sowie euch natürlich von Herzen einen fröhlichen Ausklang der Feiertage zu wünschen und uns auf die positive Komponente — die Besinnlichkeit — dieser Feiertage konzentrieren, um uns eben zu besinnen.

In Zeiten des Umbruchs blicken wir auf ein wahrhaftig heißes Jahr zurück mit vielerlei kleineren Erschütterungen, die zusammengenommen zu einem unbehaglichen Großen und Ganzen führen.

Mit der „Heißzeit” als Unwort des Jahres, klopft der Klimawandel nun auch direkt an unsere Tür. Es ist 12 Uhr durch, in diesem Jahr gleich mehrere verheerende Tsunamis in Indonesien, der Weltklimarat veröffentlicht den final call, unsere Lebens- und Verhaltensweisen JETZT in rapider und beispielloser Form zu ändern, um die Klimakatastrophe der Zukunft noch zu verhindern. Dennoch bleibt es beispielsweise weiterhin möglich, dass die Trumps dieser Welt in nationalnarzistischer Manier aus dem Weltklimaabkommen rausnehmen. Viel zu trocken sah es in diesem Jahr nicht nur für die Wetterlage, sondern auch für die Menschlichkeit in unserer Gesellschaft, ja für unsere wertvollen demokratischen Grundwerte aus. Erst der Wutbürger mit dem Hut vor der Deutschlandfahne, dann die Nazis in Chemnitz und Köthen, Hetzjagden auf Menschen mit Migrationshintergrund, Hitlergrüße auf der Straße und ein Seehofer und Maaßen, die nichts gesehen haben wollen. Wie wurde so schön gesagt: “2018 ist das Jahr, in dem Cola-Marken sich klarer gegen Nazis positioniert haben als der Innenminister.” Gauland, der Hitler und den Nationalsozialismus in aller Öffentlichkeit als Vogelschiss auf dem Zeitstrahl unserer deutschen Geschichte bezeichnet, mutmaßliche rechtsextreme Zelle NSU 2.0 bei der Frankfurter Polizei, und und und. Can you see it? Der Rechtsextremismus ist wieder ein Stück stärker geworden. Die AfD is uprising, weil sie sich besser vernetzen und in den Medien platzieren können, als die aktuelle Mitte und Links. Unsere Werte werden von Rechts angegriffen, unsere Sprache verroht. Merkel, konservativ aber zumindest menschlich, wird gehen und mit ihr womöglich die respektvolle Rhetorik im politischen Diskurs. Neben dem Rassismus, der wieder salonfähig geworden ist, sieht es z.B. mit den Themen wie Sexismus, Gleichberechtigung, oder Gewalt gegen Frauen nachwievor nicht viel besser aus. In diesem Jahr stellte die Bundesfamilienministerin Ergebnisse aus der kriminalstatistischen Auswertung zur Partnerschaftsgewalt vor, die eröffnen dass in Deutschland jeden zweiten Tag eine Frau durch Gewalt durch ihren Partner ums Leben kommt. Jeden zweiten Tag. Des Weiteren sagt man, bei gleichbleibenden Reformtempo braucht es hierzulande noch 100 Jahre bis Frauen und Männer die gleichen Chancen haben, an allen gesellschaftlichen Bereichen teilzuhaben. Für den Arbeitsmarkt werden 217 Jahre prognostiziert. Und diese Zahlen beziehen sich lediglich auf zwei Geschlechter, wie sieht es für den Rest aus?

Auch in diesem Jahr ging es weiter mit Diesel-Gate, Cambridge Analytica und ihr das Abgreifen von 50 Millionen Facebook-Profilen zur Beeinflussung der Wahlen in den USA, weiterhin Krieg in Syrien, weitere unzählige Tote im Mittelmeer, Rückhalte­lager in Nordafrika, Krieg und Volkshunger im Jemen, die Arbeitsbedingungen in Südostasien, die Umweltzerstörungen in Lateinamerika, ein neuer Brasilianischer Präsident, der die demokratischen Werte verachtet und eine Bedrohung für LGBTI-Personen darstellt — um hier nur an einige essentielle dieser Zeit zu erinnern.

All jene Punkte stellen uns als Team immer wieder vor die Frage, was eigentlich unsere Verantwortung als Kunst- und Kulturfestival in alle dem ist. Was ist unsere Stellung in der globalen Ordnung sozialer Ungleichheit? Und wenn das System, in dem wir leben, nicht ermöglichen kann, dass alle Menschen dieser Welt, völlig egal welcher sozialen, sexuellen, nationalen, kulturellen oder religiösen Identität, dieselben Chance haben — ist es dann nicht unsere Aufgabe mit den Mitteln der Kultur und Künste daran zu arbeiten, dieses System zu ändern?

Von Beginn an steht das Artlake Festival mit aller Kraft für geistige Freiheit, Gleichheit und Toleranz, verstehen wir uns als Ort zum Loslassen, zum Denken, zum Neu-Verhandeln, als Raum um bestehende Verhältnisse kritisch zu reflektieren, alternative Perspektiven und Wege zu erforschen und mit der eigenen Kreativität zu experimentieren.

In verschiedensten interaktiven Formen wie Workhops, Vorlesungen, Diskussionsrunden, Ausstellungsformaten, Performances und Spielarten der Musik widmen wir uns zeitgenössischen Fragen der Gesellschaft und der eigenen Kreativität. Jede*r kann mitmachen, mittanzen, mitkreieren, mitdenken, mitdiskutieren.

Neue, progressive künstlerische Positionen bekommen hier eine Bühne. Kulturakteur*innen und -aktivist*innen aus verschiedensten Bereichen und aller Welt werden eingeladen, ihre Erfahrungen und ihr Wissen zu teilen. Dabei verstehen wir die Künste und Kreativität als Katalysator des Wandels, um sich und sein Umfeld zu hinterfragen und neu zu entdecken. Bewusst überwinden wir Kategorien und denken Disziplinen, Themen und Genres neu zusammen, um neue Zugänge und Zusammenhänge zu schaffen.

Hier treffen zum Beispiel kritische Auseinandersetzung auf Clubkultur und Hedonismus. Beschleunigung auf Entschleunigung, Aufbringen auf Einbringen, Kreativität und Kunst auf Politisches und Soziales, Bewusstsein auf Entspannung etc..

Am Ende geht es darum, dass wir alle zusammen kommen mit genügend Raum und Ruhe zum Atmen, Entfalten und Austauschen.

Mit Verschärfung des Tons auf der Welt, spüren wir aber auch die Dringlichkeit die Ideen, Werte und Positionen, für die wir mit dem Artlake Festival stehen und für die ihr jedes Jahr aufs Neue zu uns kommt, um mitzumachen, in der Zukunft noch weiter in unser Programm und unsere Gestaltung zu integrieren. Eben noch klarer Haltung zu zeigen und unsere Verantwortung als interdisziplinäre Plattform für kreative und bewusste Teilhabe wahrzunehmen.

Es mag kitschig klingen, aber wir müssen bei uns selbst anfangen, uns austauschen, andere mitnehmen und gemeinsam sind wir und unser Handeln letztlich mehr als die Summe unserer Teile. Revolutionen haben noch immer von unten, on the ground begonnen, sind nie einfach von oben, von der Politik, auf uns hinunter gefallen.

In dieser Sache gab es in diesem Jahr auch wirklich bemerkenswerte, rührende Momente. Erinnert euch an die 20.000 Menschen gegen Rechts beim Konzert auf dem Marktplatz in Chemnitz; an die tausenden Demonstrant*innen und vor allem die mutigen Aktivist*innen im Hambacher Forst, die einen Meilenstein für den Kohleausstieg und die Verhinderung der Rodung des Hambacher Forstes mit erwirkt sowie damit bewiesen haben, dass es einen Effekt haben kann, aktiv zu werden und sogar die Beeinflussung politischer Entscheidungen ermöglicht; oder die über 240.000 Menschen, die unter der Überschrift #unteilbar in Berlin gegen Ausgrenzung und für Solidarität auf die Straße gingen. Yeah, davon brauchen wir mehr!

Die Club- und Festivalkultur sowie Kunstszene politisiert sich zunehmend, bringt sich in Stellung und das ist wundervoll.

Es ist Zeit, gemeinsam unsere Möglichkeiten und Privilegien zu reflektieren und zu nutzen, um uns zu engagieren, mitzugestalten, zu vernetzen, gegenzuhalten und Haltung zu zeigen. Wir wollen unser Bestes geben, mit Schöngeist und Bestimmtheit und freuen uns auf ein weiteres Jahr, in dem wir gemeinsam mit euch neue Wege des bewussten Miteinanders und zukunftsträchtige Visionen für die Welt von Morgen denken und erproben.